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Gewalt

Es gibt Tage da trifft man so unvermutet auf das Grauen, dass einem davon ganz übel wird.                                                                                                Wird eine Situation besonders qualvoll, wenn man nicht darauf vor bereitet ist, scheinbar.

Ich betrete mit meinem Mann die Schule der Jungs. Wir hatten „nur“ vor, uns über die Striemen an Kassims  Oberschenkel zu beschweren. Das allein ist für deutsche Verhältnisse unvorstellbar, hier ist Gewalt an Schulen normal und in Maßen auch erlaubt. Es gibt kaum Eltern die sich beschweren, viele Eltern sind durchaus damit einverstanden, dass ihre Kinder durch Lehrer körperlich bestraft werden.

Wir treffen den Schuldirektor auf dem Schulgelände und werden sehr freundlich begrüßt, über unser Anliegen möchte er an Ort und Stelle sprechen. Sadat muss erst klarstellen, dass wir uns ungestört und in Ruhe unterhalten möchten. Wir betreten das Büro.

Drei kleine Mädchen knien auf dem Boden die Arme nach oben gestreckt, die Anstrengung dieser Haltung ist ihnen anzumerken, die Gesichter sind wie versteinert. Eine Lehrerin überwacht die Kinder.

Der Direktor samt seiner Assistentin ignoriert die Kinder. Mir wird so übel, dass ich das Gefühl habe mich gleich zu übergeben und muss das Büro erstmal verlassen. Auf dem Hof versuche ich meine Emotionen wenigsten halbwegs in den Griff zu bekommen. Nachdem ich das Büro wieder betrete werden die Kinder auf den Hof geschickt, um in der gleichen demütigen Haltung weiter zu verharren. Es bricht aus mir heraus und ich schreie den Direktor auf Englisch an, was das denn soll, so was ist doch einfach nicht möglich, brülle ich ihn an. Der Direktor bleibt absolut ruhig, das sei nicht mein Problem, was für ein Anliegen wir haben will er wissen. Sadat erklärt es ihn, ich zeige ihm zwei Bilder auf denen die Striemen gut zu erkennen sind. Er ist sichtlich schockiert und lässt die Assistentin einen Blick auf die Bilder werfen.

 Die drei Kinder knien noch immer auf dem Hof.

 Der Direktor lässt den Lehrer rufen und blättert in irgendwelchen Unterlagen. Ich versuche über die Kinder draußen zu sprechen und werde ignoriert. Wir werden kurz alleine im Büro gelassen und ich bitte Sadat ein Foto mit meinem Handy zu machen.

Kassims Lehrer, die Assistentin und der Direktor erscheinen im Büro. Kassims Lehrer erscheint mir sehr jung, fast noch pubertär, sehr ungepflegt und wenig motiviert wirkt er. Ich zeige ihm das Bild von den Striemen und frage ihn auf Englisch, ob es ihm Spaß macht, Kinder so zu schlagen, der Mann ist so verstört, dass er wirklich mit „ja“ antwortet. Vielleicht spricht er aber auch einfach nur sehr schlecht Englisch, Sadat vermutet, dass er seine Gewalt auch dazu nutzt, damit die Kinder über seine schlechten Englischkenntnisse hinweg sehen. Jetzt wird es turbulent alle reden auf den Lehrer ein. Der Direktor beschimpft seinen Kollegen und gibt ihm nicht im mindesten Rückendeckung. Er liefert ein gutes Schauspiel ab.

Die drei Kinder knien immer noch auf dem Hof.

 Irgendwann schafft es Sadat, sich Gehör zu verschaffen. Sehr ruhig, ernst und eindringlich spricht er mit dem Lehrer und das Gesagte scheint tatsächlich anzukommen. Er hat wohl im Affekt gehandelt und wollte das so nicht, versucht er uns zu erklären. Letztlich entschuldigt er sich, es wird nicht wieder vorkommen.

Die drei Kinder knien noch immer auf dem Hof.

Wir verabschieden uns von dem Direktor und der Assistentin, die sichtlich erleichtert sind, dass wir nicht noch mehr „Ärger“ machen. Wir schaffen es, auch dem Lehrer die Hand zu geben und uns von ihm zu verabschieden.

 Als wir gehen knien die drei Mädchen immer noch im Hof. Sadat macht mich darauf aufmerksam, dass eine Lehrerin aber auch eine Mutter das Ganze beaufsichtig haben. Wir waren etwa eine Stunde in der Schule, eine Stunde in der die Mädchen in dieser qualvollen Haltung verharren mussten.

Wir haben durch unser Gespräch erreicht, dass Kassim oder Mini bestimmt nicht mehr geschlagen werden. Aber das haben wir nur für die beiden erreicht. Wir haben keinen Sinneswandel erreicht.

Zuhause wird mir die gesamte Situation erst so richtig bewusst. Sadat muss eine Flut von Wörtern, Verwünschungen, eben meinen gesamten Frust über sich ergehen lassen, bis mir plötzlich mein eigenes Versagen bewusst wird. Ich hätte die Situation durch mein eingreifen, beenden können. Ich hätte…. Ich habe nicht…. Ich kann nur hoffen, dass ich beim nächsten Mal anders reagieren kann, jedenfalls in der Schule. Häusliche Gewalt und ich meine Gewalt, ist völlig normal und wird auch öffentlich ausgetragen.

Dem Direktor der Schule habe ich einen Brief geschrieben, vielleicht denkt er nochmal nach, wer weiß. Wir denken im Übrigen natürlich über einen Schulwechsel nach, aber ob wir eine Schule finden, die wir uns leisten können und in der es keine Gewalt gibt, bleibt fraglich.

 

 

 

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Kommentare: 1
  • #1

    EG BAM (Sonntag, 08 April 2018 12:41)

    Liebe Elske, es ist unglaublich, was du in deinem Bericht schreibst! Das wäre natürlich
    bei uns nicht möglich - kein keiner Klaps ist erlaubt. Ich kann deine Entrüstung nach-
    empfinden - man ist einfach so machtlos. Man kann seinem Ärger und der Empörung
    durch entsprechende Worte Luft machen, aber die Worte sind für das Lehrpersonal
    auch nur Luft! Leider! Es ist sehr gut, dass du so viel Zivilcourage hast!
    LG ELKE